Nach einem schwierigen Winter dürfte es nächstes Jahr mit der Weltwirtschaft kräftig bergauf gehen. Doch es gibt weiterhin strukturelle Hindernisse. Wird der Aufschwung nach der Pandemie eine nachhaltige und breit angelegte weltweite Reflation auslösen?

Bessere Aussichten, aber kein Selbstläufer

Trotz des chaotischen Ausgangs der US-Präsidentschaftswahlen haben sich die weltweiten Konjunkturaussichten in den letzten Wochen verbessert. Da Impfstoffe gegen COVID-19 nun so gut wie einsatzbereit sind, ist es wahrscheinlicher geworden, dass das Leben bald wieder in einigermaßen geordneten Bahnen verläuft. Und der Wahlsieg von Joe Biden hat die Aussichten auf ein berechenbareres und stärker auf Vermittlung setzendes Umfeld für den Welthandel erhöht.

Das heißt jedoch nicht, dass es keine Hindernisse gibt. Die Hoffnungen auf ein umfassendes Konjunkturpaket in den USA sind verflogen, und ein erneuter Anstieg der COVID-19-Fallzahlen im Winter dürfte das Produktionswachstum in Europa und den USA bremsen. In Europa steht bereits der nächste Konjunkturrückgang ins Haus – auch wenn dieser weniger schwerwiegend als der Rekordabsturz im zweiten Quartal ausfallen wird – und die USA könnten als Nächstes an der Reihe sein.

Erholung nach der Corona-Krise wahrscheinlich

Insgesamt ist unserer Ansicht nach jedoch mehr Zuversicht angebracht. China und die übrigen asiatischen Länder haben gezeigt, wie schnell sich Volkswirtschaften erholen können, wenn das Virus erst einmal eingedämmt ist. Vorausgesetzt, die Geld- und Fiskalpolitik bieten hinreichende Unterstützung. Und das kräftige Wiederanziehen der Konjunktur, das im dritten Quartal in den USA und im Euroraum zu beobachten war, lässt vermuten, dass die Entwicklung in diesen beiden Regionen ganz ähnlich verlaufen könnte, sobald die COVID-19-Pandemie endlich unter Kontrolle ist.

Die entscheidende Frage lautet also nicht, ob sich die Weltwirtschaft 2021 erholen wird. Sofern es keine unerwartete Wendung im Zusammenhang mit dem Virus gibt, ist das mehr oder weniger als gegeben anzusehen. Die Frage lautet, ob diese Erholung nachhaltig und von einer breiter angelegten Reflation begleitet sein wird, die für eine höhere Inflation und steigende Anleiherenditen sorgt.

Langfristige Hindernisse für ein nachhaltiges Wachstum bleiben bestehen

Wenn das Wachstum an Dynamik gewinnt, fragt möglicherweise niemand mehr nach der Nachhaltigkeit der Erholung. Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass die Welt auch vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie nicht rosarot war. Das Produktivitätswachstum war schwach und die demografische Entwicklung verlief ungünstig. Im Übrigen wurden die längerfristigen Aussichten von drei langfristigen Trends überschattet: vom Populismus, den wachsenden geopolitischen Spannungen zwischen China und der westlichen Welt sowie der erhöhten Verschuldung.

Joe Bidens Präsidentschaft könnte durchaus eine vorübergehende Entspannung (oder scheinbare Entspannung) in puncto Populismus und Geopolitik bewirken. Beide Phänomene haben jedoch tieferliegende Ursachen, und die COVID-19-Krise wird diese Entwicklungen wohl eher verstärken als eine Trendwende herbeiführen. Darüber hinaus sind die Narben zu bedenken, die die Pandemie hinterlassen wird. Wir sind zwar zuversichtlich, was das Jahr 2021 und auch noch das Jahr 2022 betrifft, raten aber davon ab, deshalb von einer nachhaltigen Verbesserung der längerfristigen Aussichten auszugehen.

Die Pandemie beschleunigt den Anstieg der Schulden und einen Politikwandel

Außerhalb des öffentlichen Gesundheitswesens beobachten wir zwei langfristige Folgen der COVID-19-Pandemie.

Erstens wirkt sie sich auf die Staatsverschuldung aus, die insbesondere in den Industrieländern weiter in bisher ungekannte Höhen getrieben wird (siehe Abbildung). Zweitens ist man sich weitgehend einig, dass die Fiskalpolitik jetzt das wichtigste wirtschaftspolitische Instrument darstellt und der Geldpolitik nur noch eine unterstützende Funktion zukommt – nämlich die, für erträgliche Schuldendienstkosten zu sorgen. Wir haben schon lange mit diesem Wandel gerechnet, doch er verläuft gerade in halsbrecherischem Tempo. Und von dem Punkt, an dem wir uns jetzt befinden, ist es nur ein kleiner Schritt bis zu einer Dominanz der Fiskalpolitik, offenkundigeren Formen der Monetarisierung (wie der modernen Geldtheorie) und letztlich zu einer höheren Inflation.

Dennoch rechnen wir 2021 nicht mit einem wesentlichen Anstieg der Inflation. Wie wir in den letzten Jahren gelernt haben, liefern Produktionslücken und Inflationserwartungen keine vollständige Erklärung für den Inflationsprozess. Aufgrund der COVID-19-Krise sind jedoch die Kapazitätsreserven gestiegen, und die Inflationserwartungen waren selten so niedrig. Ungeachtet einiger Probleme auf der Angebotsseite stellt diese Kombination eine ernstzunehmende Hürde für ein baldiges Anziehen der Inflation dar.

Zur Klarstellung: Wir sind nach wie vor der Meinung, dass alles auf eine höhere Inflation hinausläuft. Doch wir haben diesen Punkt vermutlich noch nicht erreicht – vor allem wenn die USA nur zögerlich fiskalpolitische Maßnahmen ergreifen.

Bleiben die Anleiherenditen womöglich weiterhin so niedrig?

Das führt uns zu der brennenden Frage: Wie werden sich die Anleiherenditen 2021 entwickeln?

Um eine expansive Fiskalpolitik zu erleichtern, werden die Znetralbanken die Anleiherenditen für absehbare Zeit auf einem extrem niedrigen Niveau festgezurren. Man könnte sagen, Geld- und Fiskalpolitik wirken im Tandem

Ob das stimmt, wird sich herausstellen, wenn das Wachstum wieder anzieht. Schließlich sind die Anleiherenditen zu niedrig, oder nicht? Und steigen sie nicht immer während der Aufschwungphasen im Konjunkturzyklus? Vielleicht. Es gibt jedoch drei wichtige Argumente, die diesem Gedankengang widersprechen:

1. Beim Niveau der aktuellen Verschuldung ist die Höhe der Zinsen grundsätzlich angemessen; eine deutliche Anhebung würde die Tragfähigkeit der Schuldenlast in einigen Ländern in Frage stellen.

2. Selbst vor dem Ausbruch des Coronavirus verlief dieser Konjunkturzyklus nicht normal. Ein Paradebeispiel hierfür ist der gestörte Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation.

3. Wir befinden uns jetzt in einem neuen geld- und fiskalpolitischen System, in dem viele der alten Regeln wahrscheinlich nicht mehr gelten.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ließ sogar verlauten, sie müsse die Zinsen auf einem niedrigen Niveau halten, um zu verhindern, dass die expansive Fiskalpolitik privatwirtschaftliche Investitionen verdrängt. Stattdessen verankern die Zentralbanken ihre Maßnahmen weiterhin in einem konventionellen geldpolitischen Rahmen, indem sie diese als Anpassung der Reaktionsfunktion beschreiben, die nun noch unumwundener auf eine Steigerung der Inflation ausgerichtet ist.

Beide Wege führen jedoch im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis. Der Gleichgewichtszins ist deutlich niedriger als früher. Und solange es keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Inflation langfristig gestiegen ist, wird die Geldpolitik nicht in gleicher Weise wie früher auf ein höheres Wachstum und sinkende Arbeitslosenzahlen reagieren.

Jetzt müssen einige einfachere und einige schwierigere Entscheidungen getroffen werden.

Beispielsweise gibt es praktisch kein Szenario, in dem die wichtigsten Zentralbanken weltweit nächstes Jahr ihre Leitzinsen erhöhen. In Japan sind steigende Renditen, nachdem die Renditekurvensteuerung kein fester Bestandteil der dortigen Geldpolitik mehr ist, ebenso unwahrscheinlich. Und auch wenn die EZB offiziell noch nicht zu einer Steuerung der Renditekurve übergegangen ist, tut sie in der Praxis im Prinzip nichts anderes. Sie kann sich schlichtweg keine deutliche Steigerung der Renditen von Anleihen aus Kern- und Peripheriestaaten leisten.

Die US-Notenbank (Fed) dürfte vor einer schwierigeren Aufgabe stehen. Das liegt unter anderem daran, dass der US-Anleihenmarkt die Möglichkeit, dass die aktuellen Renditeniveaus „normal“ sind, noch nicht verinnerlicht hat. Die Fed hat sich allerdings sehr deutlich zu ihrer neuen Reaktionsfunktion und zu ihrer Absicht geäußert, die Konjunktur zu beleben, um die Inflation anzuheizen. Ohne einen Anstieg der tatsächlichen Inflation oder ein spürbares Umdenken bezüglich der Inflationserwartungen wird sie keine wesentlich höheren Renditen verkraften können.

Das bedeutet nicht, dass die US-Renditen nächstes Jahr nicht steigen werden. Eine Rückkehr zu den vor der Krise üblichen Niveaus ist jedoch unwahrscheinlich. Vielleicht wird die Fed nächstes Jahr zu kämpfen haben, aber falls es dazu kommen sollte, dann denken Sie an die alte Weisheit: Don’t fight the Fed. – Stellen Sie sich nicht gegen die Fed.

Darren Williams ist Director – Global Economic Research bei AllianceBernstein.

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können sich im Laufe der Zeit ändern. AllianceBernstein Limited ist von der Financial Conduct Authority im Vereinigten Königreich zugelassen und wird durch diese Behörde reguliert.

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