Wie die jüngste Berichtssaison gezeigt hat, macht sich derzeit ein steigender Inflationsdruck bemerkbar. Für Anleger stellt sich deshalb die Frage, welche Unternehmen in der Lage sind, die hieraus entstehenden Kosten weiterzugeben und so ihre Gewinnspannen zu schützen.

Die Inflation ist aktuell eines der wichtigsten Themen für Anleger. Handelt es sich um einen dauerhaften Preisanstieg oder wird der Inflationsdruck mit einer Normalisierung der Lieferketten wieder abnehmen?

Unserer Ansicht nach deuten die Informationen aus den jüngsten Gewinnaufrufen auf eine anhaltende Inflation hin, die sich zumindest in den kommenden Quartalen noch fortsetzen wird. Im Rahmen der Berichterstattung zum zweiten Quartal verwiesen rund die Hälfte aller Unternehmen im S&P 500 auf einen gestiegenen Kostendruck – dies ist der höchste Wert der letzten zehn Jahre (Abbildung).

Die Anzahl an Erörterungen zum Thema Inflation im Rahmen von Gewinnaufrufen US-amerikanischer Unternehmen hat sich gegenüber dem vergangenen Jahr um fast 200 % und im Vergleich zum Jahr 2019 vor Ausbruch der Pandemie um 73 % erhöht. Viele Unternehmen konnten diesem Inflationsdruck bisher durch ein solides Umsatzwachstum und die Vermeidung bestimmter Kosten standhalten. Angesichts der Normalisierung des BIP-Wachstums sowie nun nicht länger vermeidbarer Geschäftsausgaben könnte die Inflation jedoch künftige Gewinne schmälern.

Wie lässt sich dieses Problem lösen? Aus unserer Sicht können Unternehmen die derzeitige Inflationsphase nur dann erfolgreich bewältigen, wenn sie über Preismacht verfügen. Preismacht war schon immer wichtig, doch im heutigen Marktumfeld stellt sie einen kritischen Erfolgsfaktor dar.

Von Technologie bis Transport

Unserer Einschätzung nach sind Technologieunternehmen mit omnipräsentem Programm- oder Serviceangebot in einer vorteilhaften Position, wenn es um Preissteigerungen geht. So müssen etwa Zahlungsabwickler und Softwareanbieter, die ihre Tarife in letzter Zeit nicht erhöht haben, bei Preisanpassungen kaum mit Gegenwind rechnen. Rund 75 % aller Kredit- und Debitkartenzahlungen werden über die beiden weltweit bedeutendsten, als Technologieunternehmen klassifizierten Anbieter Visa und Mastercard abgewickelt – Tendenz steigend. Beide Unternehmen haben während der Pandemie auf Preiserhöhungen verzichtet. Für das Jahr 2022 wurden jedoch bereits entsprechende Anpassungen angekündigt.

Microsoft hat sich unter seinem Geschäftsführer Satya Nadella neu erfunden und wurde zu einem SaaS-Unternehmen und Cloud-Dienstleister umgebaut. Mehr als eine Million Unternehmen weltweit nutzen Office 365 – das entspricht einer Nutzerzahl von über 200 Millionen. Der Preis für ein Abonnement ist seit 2014 unverändert, doch Microsoft kündigte vor Kurzem eine Preiserhöhung für März 2022 an.

Ein zweiter Bereich mit dem Potenzial für Preissteigerungen ist die Transportbranche. Die durch die Lockdowns während der Pandemie unterbrochenen Lieferketten stehen derzeit vor der Herausforderung, eine steigende Nachfrage zu befriedigen. Die Häfen sind mit Containern überlastet und die Zahl an Lkw-Fahrern reicht nicht aus, um den vorhandenen Bedarf zu decken. Einige Transportunternehmen berechnen für sogenannte Premiumfracht drei- bis viermal höhere Preise als noch vor einem Jahr. Andere Spediteure kündigen Festpreisverträge, weil ihnen der Markt erlaubt, höhere Tarife anzusetzen. Ein großer Einzelhändler ist wegen der gestiegenen Kosten und Verzögerungen bei den Lieferketten bereits dazu übergegangen, Schiffe und Container direkt zu mieten, um seine Waren ohne Umweg über externe Frachtführer auf den Markt zu bringen.

Durch die Pandemie haben sich auch das Kaufverhalten sowie die Wünsche und Bedürfnisse der Konsumenten verändert. In den USA konnten die Verbraucher dank Steueranreizen Geld sparen und ihre Schulden abzahlen. Nachdem sie über anderthalb Jahren auf Reisen verzichten und Einschränkungen im Bereich Unterhaltung sowie bei diversen Produkten von Hefe bis hin zu Toilettenpapier hinnehmen mussten, sind viele Verbraucher bereit, mehr zu zahlen – sei es für ein optimiertes Kundenerlebnis, höherwertige Ware oder Schokolade, die noch besser schmeckt. Einzelhändler, die ihren Kunden ein einzigartiges Shopping-Erlebnis und Produkte in Premiumqualität bieten, können somit Preiserhöhungen ohne Probleme durchsetzen. Nestlé geht beispielsweise davon aus, dass es die erhöhten Rohstoffkosten für die Lebensmittelherstellung über die kommenden zwei Jahre überall auf der Welt erfolgreich an die Verbraucher weitergeben kann.

Auch die Fähigkeit, Kunden praktische Lösungen zu bieten, kann Unternehmen mehr Preismacht verleihen. Im Baugewerbe gibt es beispielsweise nur wenige Unternehmen, die fähig und willens zur Unterhaltung von Schwermaschinen sind. Leasinganbieter für Baumaschinen, wie etwa das im Vereinigten Königreich ansässige Unternehmen Ashtead, sind nicht nur in der Lage, die Verantwortung für schweres Gerät zu übernehmen, sondern haben darüber hinaus festgestellt, dass eine umweltfreundlichere Maschinenflotte in den Augen ihrer Kunden höhere Preise rechtfertigt.

Die andere Seite der Medaille

Auf der anderen Seite gibt es auch Firmen, deren Umsätze unter Preiserhöhungen leiden könnten. Um nachteilige Entscheidungen in einem inflationären Umfeld zu vermeiden, sollten Anleger nicht nur die Gewinner dieser aktuellen Entwicklung kennen. Die Frage danach, welche Unternehmen zurückbleiben werden, ist möglicherweise genauso wichtig.

Viele Firmen verzeichnen zum Beispiel erhöhte Personalkosten, sobald ein Verteilzentrum von Amazon in der Nähe eröffnet – in einigen Fällen finden sie nicht einmal neue Mitarbeiter. Während Willkommensprämien im Bereich professioneller Dienstleistungen nicht ungewöhnlich sind, überrascht es doch, dass mittlerweile auch Fast-Food-Ketten neue Angestellte mit solchen Anreizen locken.

Die bereits angesprochenen erhöhten Transportkosten müssen an anderer Stelle in der Lieferkette aufgefangen werden – sei es in der Fertigung oder durch den Endverbraucher. Kunden von Burlington Stores sind beispielsweise weniger bereit, höhere Preise zu zahlen; die Unternehmensleitung stellte fest, dass die erhöhten Transportkosten die Gewinnspanne belasten.

In ähnlicher Weise sind die Kosten für Baustoffe in einigen Regionen um durchschnittlich 20 % gestiegen, während Bauunternehmen davon ausgehen, dass sie nicht mehr als ein Viertel dieser Mehrkosten auf ihre Preise umlegen können. So verzeichnete der Produzentenpreisindex für Stahlerzeugnisse gegenüber August 2020 einen Anstieg um 123 %– ein echtes Problem für jedes Unternehmen, das auf dieses Material angewiesen ist und nicht über ausreichend Preismacht verfügt!

Preismacht ist immer von Wert, doch sie zahlt sich niemals stärker aus als in Inflationsphasen. Unternehmen, die ihre erhöhten Kosten nicht weitergeben können, müssen mit verringerten Gewinnspannen oder noch ernsteren Folgen rechnen. Die Fähigkeit zur Einschätzung der Preismacht eines Unternehmens – sei es aufgrund von Wettbewerbsvorteilen, einem herausragenden Angebot und Kundenerlebnis oder Kapazitätsengpässen – ist maßgeblich für die Entwicklung fester Überzeugungen in Bezug auf bestimmte Aktien.

James T. Tierney, Jr. ist Chief Investment Officer of Concentrated US Growth bei AllianceBernstein (AB)

Dev Chakrabarti ist Co-Chief Investment Officer – Concentrated Global Growth bei AB

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.

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