Q1. Warum sollten Anleger im aktuellen Umfeld den Gesundheitssektor in Betracht ziehen?
Vinay Thapar: Der Gesundheitssektor ist einzigartig, weil er Anlegern eine Mischung aus defensiven und dynamischen Merkmalen bietet. Aus einer defensiven Perspektive profitiert der Sektor von einer konstanten Nachfrage, da die Kunden immer Zugang zu den angebotenen Dienstleistungen und Produkten benötigen werden. Ergänzt wird diese Basis durch starke dynamische Trends, die die Innovation in diesem Sektor immer schneller vorantreiben und global attraktive Chancen schaffen. Im 21. Jahrhundert erleben wir derzeit einen Innovationsschub, der von Technologien für die Roboterchirurgie über neue diagnostische Möglichkeiten, die es uns beispielsweise ermöglichen, einen Bluttest durchzuführen und bestimmte Krebsarten im Voraus zu diagnostizieren, bis hin zur Präventivmedizin reicht.
Q2. Welche Themen sind im Zuge dieser Innovationswelle aktuell bestimmend für den Sektor?
VT: Als Investoren und Stockpicker haben wir in diesem Zusammenhang drei Kernthemen identifiziert:
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Diagnostik: Frühzeitige Tests spielen wahrscheinlich eine Schlüsselrolle, um Krankheiten in einem früheren Stadium besser vorhersagen zu können. Die Leistungsfähigkeit der Sequenzierung des menschlichen Genoms wird potenzielle neue Medikamente freisetzen und dazu beitragen, Krankheiten früher zu erkennen.
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Minimalinvasive Therapien/Roboterchirurgie: Die Robotik wird in Zukunft ein immer wichtigeres Element der Chirurgie in modernen Operationssälen sein und Operationen effizienter machen, da sie Operationen mit wesentlich kleineren Schnitten ermöglicht und dem Chirurgen präzisere Bewegungen ermöglicht. Das bedeutet weniger Komplikationen sowie schnellere Heilungsund Genesungszeiten mit kürzeren Krankenhausaufenthalten. Dadurch können Krankenhäuser die Patientenfluktuation erhöhen, was zu einer verbesserten Effizienz und niedrigeren Kosten für das Gesamtsystem führt.
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Technologie: Das Gesundheitswesen ist in unserer hochtechnisierten Gesellschaft bislang ein Nachzügler gewesen, was die Einführung neuer Technologien betrifft. Wir glauben, dass sich zukünftig aber auch die Medizin durch Innovationen wie etwa die Telemedizin verändern wird. Diese Telemedizin hat seit dem Ausbruch der Pandemie rasch an Popularität gewonnen und sich als unschätzbar wertvoll erwiesen, da sie es den Patienten ermöglicht, über Smartphone oder Computer aus der Ferne mit medizinischen Fachleuten zu kommunizieren.
Q3. Wie finden Sie die vielversprechendsten Unternehmen und wie konstruieren Sie Ihr Portfolio?
VT: Wir konzentrieren uns vollständig auf die Identifizierung der unserer Meinung nach besten Unternehmen in diesem Sektor durch fundamentales Research. Wir definieren ein gutes Unternehmen auf zwei spezifische Arten: hohe oder sich verbessernde Kapitalerträge und eine hohe Reinvestitionsquote. Einfach ausgedrückt: Wir wollen, dass Unternehmen Erträge erzielen, die über ihren Kapitalkosten liegen, und dann die erwirtschafteten Gewinne nehmen und wieder in das Unternehmen reinvestieren.
Wir bauen das Portfolio Aktie für Aktie auf und machen keine konjunkturellen Prognosen. Als Bottom-up-Aktienselektoren konzentrieren wir uns ausschließlich darauf, die besten Unternehmen zu identifizieren, in die im Gesundheitssektor investiert werden kann. Als Teil des Anlageprozesses beginnen wir mit einem quantitativen Screening, das uns hilft, unsere Zeit auf die Identifizierung der vielversprechendsten Möglichkeiten für das Portfolio zu konzentrieren.
Q4. Wie hat sich die COVD-19-Pandemie und die damit verbundene extreme Volatilität auf das Portfolio ausgewirkt?
VT: Trotz der zuletzt extremen Börsenvolatilität haben wir unseren disziplinierten Prozess und unsere Bottom-up-Aktienauswahl beibehalten. Inmitten der Volatilität hat sich unser Portfolio gut entwickelt, mit starken Auf- und Abwärtsbewegungen, die direkt auf die Stärke der Geschäftsmodelle unserer Positionen zurückzuführen sind. Als langfristige Investoren sind wir weniger daran interessiert, Modelle zu erstellen, um abzuschätzen, wann das Coronavirus schließlich seinen Höhepunkt erreichen könnte, oder uns auf den kurzfristigen Gewinnrückgang der Unternehmen zu konzentrieren. Mit einem Horizont von drei bis fünf Jahren suchen wir nach Unternehmen, von deren Grundlagen und Aussichten wir langfristig überzeugt sind und deren Positionen wir dann methodisch aufbauen.
Q5. Welche Ihrer Positionen ist aktiv auf der Suche nach COVID19-Impfstoffen oder kann dazu beitragen, die begehrtesten Produkte wie etwa Gesichtsmasken, Desinfektionsmittel oder Beatmungsgeräte zu liefern?
VT: Wir haben keine Positionen nur auf der Grundlage ihrer Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit COVID-19 aktiv gekauft. Letztendlich besteht der Weg aus dieser Pandemie darin, eine Immunität gegen sie zu entwickeln, was auf eine von zwei Arten geschehen kann. Entweder wird ein Impfstoff entwickelt oder eine ausreichende Zahl der Bevölkerung wird infiziert und entwickelt infolgedessen eine Immunität, was zweifellos die am wenigsten wünschenswerte Lösung ist.
Wir hüten uns davor, allzu optimistisch in Bezug auf das Unternehmen zu sein, das schließlich einen erfolgreichen Impfstoff entwickelt. Das liegt daran, dass die Gesamtprofitabilität und die Vermarktungschancen für das Medikament bescheiden sein werden. Zu unserem Portfolio gehört Pfizer, das sich mit einem Biotechnologieunternehmen zusammengeschlossen hat, um einen Impfstoff zu entwickeln. Regeneron, eine andere Holding, verfügt über einige Produkte, darunter ein prophylaktisches Antikörperpräparat, das derzeit getestet wird, und ein Medikament, das bereits auf dem Markt zugelassen ist und dazu beiträgt, die Symptome zu minimieren. Wir besitzen auch Diagnostikunternehmen wie Roche, Quest Diagnostics und Fleury in Brasilien, die unserer Meinung nach entweder von der Entwicklung von Tests oder einer verstärkten Nutzung ihrer Einrichtungen profitieren werden, da die Bevölkerung getestet werden muss. Im Bereich der Medizinprodukte gehören uns Fisher & Paykel, das Atemschutzmasken herstellt, und Medtronic, ein Hersteller von Beatmungsgeräten.
Q6. Welche Trends werden durch die Coronakrise entstehen und welche Unternehmen sind gut dafür aufgestellt?
VT: Wir sehen sicherlich einige klare Trends, die aus der Krise hervorgehen, und Unternehmen, die gut positioniert sind, um davon zu profitieren. Telemedizin ist ein gutes Beispiel, bei dem eine Kombination aus Technologie und Gesundheitsversorgung den Wandel vorantreibt. Dieser Trend wird durch den Ausbruch des Coronavirus noch beschleunigt, da die Telemedizin es medizinischen Fachkräften ermöglicht, auf sichere Weise medizinische Beratung und Diagnosen anzubieten, die praktisch zu den Patienten nach Hause geliefert werden. Zu unserem Portfolio gehört das Gesundheits-IT-Unternehmen Veeva Systems, das Software für das Gesundheitswesen herstellt, darunter eine branchenführende Kundenverwaltungs-Lösung, die speziell für LifeSciences-Unternehmen entwickelt wurde. Die naheliegendste Analogie ist Salesforce.com. Veeva Systems verfügt über ein Produkt namens „Engage“, das es Vertriebsmitarbeitern ermöglicht, virtuell mit Ärzten in Kontakt zu treten und genehmigte Marketingmaterialien zu versenden, Webinare zu veranstalten und Telefon- oder Videokonferenzen abzuhalten. Ihr CEO stellte kürzlich fest, dass die Nutzungsraten seit der Coronavirus-Pandemie um das Zehnfache gestiegen sind. Wir sind der festen Überzeugung, dass der zunehmende Einsatz von Technologie im Gesundheitssektor mit all seinen Facetten eine Möglichkeit sein wird, wie diese Pandemie das Verhalten erheblich und dauerhaft verändern kann.
Q7. Wie sind die Aussichten für das Portfolio und den Sektor in einem höchst unsicheren Marktumfeld?
VT: Wir sind nach wie vor zuversichtlich, dass unsere wichtigsten Aktien ein großes Potenzial haben, langfristig überdurchschnittliche Erträge zu erzielen. Wir versuchen, den Markt antizyklisch anzugehen, während viele Anleger dazu neigen, als Liquiditätsnehmer zu fungieren. Wenn die Märkte steigen, kaufen sie Aktien, und wenn die Märkte fallen, verkaufen sie Aktien. Im Gegensatz dazu tendieren wir dazu, uns als Liquiditätsgeber zu verhalten. Wenn die Märkte steigen, versuchen wir oft, unser Engagement zu trimmen und das Risiko zu reduzieren, und wenn die Märkte fallen, suchen wir nach ausgewählten attraktiven Anlagemöglichkeiten, um das Portfoliopotenzial zu verbessern. Während sich die durch das Coronavirus verursachte Marktkrise entfaltet, wird es klare Kaufgelegenheiten geben. In einigen Fällen haben wir aufgrund der Kurskorrektur und unserer positiven Einschätzung der langfristigen Fundamentaldaten eines Unternehmens bestehende Positionen aufgestockt und auch einige neue Positionen initiiert.
Q8. Können Sie Ihre Anlagephilosophie und Ihren Risikomanagementansatz zusammenfassen?
VT: Unsere Philosophie ist rein darauf ausgerichtet, die unserer Meinung nach besten Unternehmen mit starken Geschäftsmodellen zu identifizieren, und es ist nicht unser Ziel, medizinische Wissenschaft oder Forschungsergebnisse vorherzusagen. Dieser Ansatz führt unserer Ansicht nach zu einem weitaus konstanteren und besser erklärbaren Performancemuster und langfristigen Erträgen. Aufgrund unseres Investmentansatzes sollten Sie von uns erwarten, dass wir unterdurchschnittlich abschneiden, wenn beispielsweise Nebenwerte und Biotechnologie-Unternehmen eine Hausse dominieren, da wir diese Unternehmen nicht besitzen. Wir achten auf Erträge und Reinvestitionen und weniger auf reines Gewinnwachstum, das sich leicht manipulieren lässt. Und für uns ist die Qualität des Wachstums mindestens so wichtig wie die absolute Höhe.
Das Portfoliorisiko wird aktiv mit einem Risk-Overlay über Derivate verwaltet. Das bedeutet, dass wir nicht nur auf die aktiven Gewichte schauen und sicherstellen, dass das Portfolio nicht auf eine Handvoll vielversprechender Namen konzentriert ist. Wir stellen auch sicher, dass wir ein ausgewogenes Portfolio aufbauen, in dem mehrere Positionen den Gesamtertrag bestimmen, im Gegensatz zu nur wenigen Aktien, die eine extreme individuelle Outperformance erzielen.