Aktienausblick: Vorbereitung auf einen Konjunkturabschwung

13. Juli 2022
9 min read

Ein starker Inflationsanstieg, steigende Zinssätze und zunehmende Furcht vor einer Rezession in den USA beherrschten die globalen Aktienmärkte im zweiten Quartal. Der Ausblick ist derzeit äußerst trübe. Doch gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu prüfen, welche Strategien bei einem Konjunkturabschwung hilfreich für Anleger sein können.

Aktienanleger blicken auf leidvolle sechs Monate zurück. Die weltweiten Aktienkurse erlebten im zweiten Quartal einen drastischen Einbruch, als die US-Märkte in einen Baissemarkt abglitten. Der MSCI World Index fiel im Berichtsquartal um 14,3% in Lokalwährung und verzeichnete in der ersten Jahreshälfte 2022 ein Minus von 18,3% (Abbildung). Die Aktienkurse von US-Large-Caps rutschten im Quartalsverlauf um 16,1% ab und verloren damit im ersten Halbjahr 20,0%. Regional entwickelten sich die Erträge unterschiedlich, mit verhältnismäßig moderaten Rückgängen im Vereinigten Königreich und in Japan. Verluste in den Emerging Markets wurden durch Gewinne bei chinesischen Aktien wettgemacht. Einzelne Ergebnisse wurden durch einen stärkeren US-Dollar beeinflusst, was die Verluste für nicht in den USA ansässige Anleger in amerikanischen Aktienportfolios verringerte.

Globale Märkte leiden unter Inflationsschub und Zinserhöhungen
Globale Märkte leiden unter Inflationsschub und Zinserhöhungen

Die Wertentwicklung der Vergangenheit und aktuelle Analysen sind keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.
* Abbildung von US-Small-Caps durch den Russell 2000 Index, US-Large-Caps durch den S&P 500, Europa ohne das Vereinigte Königreich durch den MSCI Europe ex UK Index, Emerging Markets durch den MSCI Emerging Markets Index, Australien durch den S&P/ASX 300, China Onshore durch den MSCI China A Index, Japan durch den TOPIX und das Vereinigte Königreich durch den FTSE All-Share Index.
Stand: 30. Juni 2022
Quelle: Bloomberg, FactSet, FTSE Russell, MSCI, Nasdaq, S&P, Tokyo Stock Exchange und AllianceBernstein (AB)

Nicht-Basiskonsumgüter- und Technologieaktien waren am stärksten betroffen (Abbildung). Energieaktien erzielten eine überdurchschnittliche Wertentwicklung, beendeten das Quartal aufgrund von Befürchtungen einer rückläufigen Nachfrage jedoch im Minus. Defensive Sektoren wie Basiskonsumgüter und Versorger zeigten sich relativ robust. Aktien mit minimaler Volatilität und Substanzwerte entwickelten sich besser als Wachstumsaktien. Derweilen brachen die Kurse von Kryptowährungen ein, da eine erhöhte Risikoaversion die Anleger zum Verzicht auf spekulative Vermögenswerte veranlasste.

Alle Sektoren gaben nach; Substanzwerte und Aktien mit minimaler Volatilität übertrafen Wachstumsaktien
Alle Sektoren gaben nach; Substanzwerte und Aktien mit minimaler Volatilität übertrafen Wachstumsaktien

Die Wertentwicklung der Vergangenheit und aktuelle Analysen sind keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.
* Basierend auf dem MSCI World Value Index, MSCI World Minimum Volatility Index und MSCI World Growth Index
Stand: 30. Juni 2022
Quelle: FactSect, MSCI und AB

Der Marktschock spiegelt eine galoppierende Inflation in mehreren Regionen wider, die Unsicherheit und politische Differenzen weltweit gefördert hat. Derzeit bereitet sich die Europäische Zentralbank auf ihre erste Zinsanhebung seit über einem Jahrzehnt vor. Im Vereinigten Königreich keimt gerade eine Stagflation auf – eine toxische Mischung aus Inflation und nachlassendem Wirtschaftswachstum. Im Gegensatz dazu bleibt die Inflation in Japan, das an einer lockeren Geldpolitik festhält, niedrig. China bewegt sich asynchron zu den Industrieländern: Das Land lockert seine Geldpolitik, um zur Erreichung der 5,5%-Zielvorgabe der Regierung für das BIP-Wachstum beizutragen, und dämpft zugleich die Wirtschaftsaktivität durch seine Null-Covid-Politik. Da ein Ende des Krieges zwischen Russland und der Ukraine nicht in Sicht ist, belastet die geopolitische Instabilität weiterhin den globalen Ausblick.

US-Wirtschaftsdrama rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit

Doch das Drama, das sich in der US-amerikanischen Wirtschaft abzeichnet, rückte im Berichtsquartal ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Bedenken über die Auswirkungen der rapide steigenden US-Zinssätze auf die Aktienbewertungen haben sich zu Rezessionssorgen entwickelt. Die Anleger fragen sich mittlerweile, ob die Unternehmensgewinne gebremst werden, da sowohl Nachfrage als auch Margen unter Druck geraten.

Kern des Problems ist die eskalierende Inflation. Am 10. Juni zeigte der Verbraucherpreisindex für Mai einen sprunghaften Anstieg der Inflation in den USA auf ein 40-Jahres-Hoch von 8,6%. Fünf Tage später hob die US-Notenbank die Zinssätze um 75 Basispunkte an – ihre größte Zinserhöhung seit 1994 – und erhöhte die Zielspanne für den Leitzins auf 1,5% bis 1,75%. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell machte deutlich, dass die Abkühlung der Inflation oberste Priorität hat, was weithin als ein Zeichen interpretiert wurde, dass die Fed bereit war, das Risiko einer Verlangsamung oder Rezession der US-Wirtschaft einzugehen. Da US-Aktien das Quartal mehr als 20% unter ihren Höchstständen im Januar beendeten, was der Standarddefinition eines Bärenmarkts entspricht, wich die Hoffnung auf eine sanfte Landung für die US-Wirtschaft zunehmend Rezessionsängsten.

Wie wahrscheinlich ist also eine Rezession in den USA? Einerseits waren Bärenmärkte in den USA in allen Fällen mit nur einer Ausnahme seit 1970 Vorboten für Rezessionen. Die Indikatoren für das Konsum- und Geschäftsklima werden schlechter, und gleichzeitig haben sinkende Aktienkurse die Privatvermögen aufgezehrt, was möglicherweise zu einer Verringerung der Ausgaben führen wird. Viele angebotsseitige Ungleichgewichte, von den Ölpreisen bis hin zu den Störungen in den Lieferketten, sind einfach nicht von der Fed kontrollierbar.

Doch es gibt einige eindämmende Kräfte. In vielen Branchen sind die Großhandelsbestände wieder zurück auf normalen Niveaus. Die US-Haushalts- und Bankbilanzen präsentieren sich solide. Obgleich eine Konjunkturabkühlung die Kaufkraft der Konsumenten verringert, könnte der geldpolitische Druck bei nachlassenden Energiepreisen und sinkenden Inflationserwartungen verringert werden.

Was implizieren die Aktienkurse?

Jeder Konjunkturabschwung weist einzigartige Merkmale auf. Mit Beginn des dritten Quartals ist klar sichtbar, dass die Zinsen in den USA steigen und dass der Einkaufsmanagerindex (PMI), ein wichtiges Signal für wirtschaftliche Expansionen und Kontraktionen, nach unten weist. In früheren Phasen der Konjunkturabschwächung kam es mit dem Absacken des Einkaufsmanagerindex zu erheblichen Abwärtskorrekturen bei den Unternehmensgewinnen.

Das ist bisher noch nicht geschehen. Die Aktienmarktrückgänge waren in diesem Jahr vorwiegend auf mehrfache Kompression zurückzuführen. Anders ausgedrückt: Die Aktienkurse fielen, die Gewinnprognosen in den USA und anderen Märkten (Abbildung) dagegen im Allgemeinen nicht; in manchen Fällen, vor allem in Europa, sind die korrigierten Gewinnprognosen nach wie vor positiv. Die Gewinnprognosen dürften demnach sinken, und bei Aktien wird es unter Umständen zu weiteren Kursrückgängen kommen.

Die Gewinnerwartungen wurden noch nicht an das Szenario einer Konjunkturabschwächung angepasst
Die Gewinnerwartungen wurden noch nicht an das Szenario einer Konjunkturabschwächung angepasst

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist nicht unbedingt ein Anhaltspunkt für zukünftige Ergebnisse.
ISM = Institute for Supply Management
EPS = Gewinn pro Aktie (Earnings per Share)
* Wachstum im Vorjahresvergleich gegenüber dem vorangegangenen Kalenderjahr Basierend auf den Indizes MSCI USA, MSCI World, MSCI Asia ex Japan und MSCI Emerging Markets.
† Konsensschätzung des Gewinns pro Aktie für das Kalenderjahr mit PMI-Tiefstständen. Daten der PMI-Tiefststände: 31. Januar 1996; 31. Dezember 1998; 31. Oktober 2001; 30. April 2003; 31. Dezember 2008; 30. November 2012; 29. Januar 2016; 30. April 2020.
Stand: 30. Juni 2022
Quelle: FactSet, MSCI, S&P, Thomson Reuters Datastream, Thomson Reuters I/B/E/S und AB

Die Verknüpfung zwischen Rezessionen und Markttiefstständen ist problematisch. Konjunkturdaten laufen nach, während die Märkte zukunftsorientiert sind. Wenn die Daten anzeigen, dass die Wirtschaft geschrumpft ist, treten wir oft schon in eine neue Phase der Erholung ein. Unsere Untersuchung von 14 Rezessionen in den USA seit 1937 lässt darauf schließen, dass der Markttiefststand im Schnitt 211 Tage nach Einsetzen der Rezession erreicht wird (Abbildung). Doch jeder Abschwung ist anders; im Jahr 2020 erreichte der Markt den Tiefststand bereits 23 Tage nach Beginn der kurzen Rezession, da Regierungen und Zentralbanken mit beispiellosen fiskal- und geldpolitischen Lockerungen reagierten. Da die Fed sich verpflichtet hat, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, sollten wir uns heutzutage nicht auf politische Unterstützung zur Förderung einer raschen Erholung verlassen.

Wie reagiert der Markt auf eine Rezession?
Wie reagiert der Markt auf eine Rezession?

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist nicht unbedingt ein Anhaltspunkt für zukünftige Ergebnisse. Es gibt keine Garantie dafür, dass Schätzungen oder Prognosen auch tatsächlich eintreten.
Bandbreite der Erträge, zusammengestellt aus den Kurserträgen des S&P 500 über 14 Rezessionen mit folgenden Anfangspunkten: Mai 1937, Februar 1945, November 1948, Juli 1953, August 1957, April 1960, Dezember 1969, November 1973, Januar 1980, Juli 1981, Juli 1999, März 2001, Dezember 2007, Februar 2020. In der Tabelle sind die Tage der Rezession vom Februar 1945 zwischen Einsetzen der Rezession und Höchststand und Tiefststand des Marktes nicht enthalten.
Stand: 30. Juni 2022
Quelle: Bloomberg, National Bureau of Economic Research und AB

Eines ist sicher: Die Wendepunkte des Marktes sind äußerst schwierig vorherzusehen und Anleger, die dies versuchen, schaden sich am Ende häufig selbst. Das Auslassen der fünf besten Tage mit US-Marktgewinnen seit 1988 hätte die annualisierten Drei-Jahres-Renditen auf lediglich 4% reduziert, verglichen mit 11% bei Anlegern, die weiterhin im Markt investiert waren (Abbildung). Ebenso bedeutete das Auslassen der fünf besten Markttage im ersten Halbjahr 2022 wesentlich stärkere Verluste.

Market-Timing bedeutet einen Ausstieg und Wiedereinstieg in den Markt
Market-Timing versus Zeit im Markt
Market-Timing bedeutet einen Ausstieg und Wiedereinstieg in den Markt

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist nicht unbedingt ein Anhaltspunkt für zukünftige Ergebnisse. Es gibt keine Garantie dafür, dass Schätzungen oder Prognosen auch tatsächlich eintreten.
* Anleihen repräsentiert durch die annualisierte Rendite des Lipper Short/Intermediate Municipal Bond Fund Average von Januar 1988 bis Dezember 2021
Abbildung links: Stand: 31. Dezember 2021; Abbildung rechts: Stand: 30. Juni 2022
Quelle: Bloomberg, Lipper, S&P und AB

Was spricht in diesem turbulenten Umfeld dafür, in Aktien investiert zu bleiben? Aktien bleiben auch in wirtschaftlich herausfordernden Phasen mit erhöhter Marktvolatilität eine unverzichtbare Quelle für langfristige Erträge. Nach den jüngsten Rückgängen deuten aktuelle Bewertungen auf ein verbessertes langfristiges Ertragspotenzial für die Zukunft hin. Darüber hinaus stellen Aktien ein wichtiges Absicherungsinstrument gegen Inflationsrisiken dar, und da sich die Korrelationen zwischen Aktien und Anleihen dieses Jahr positiv entwickeln, sind die traditionellen Diversifizierungsvorteile von festverzinslichen Anlagen gering.

Defensives Spiel mit Qualität

Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich genaue Überprüfung der Aktienallokation. Aus unserer Sicht sollten sich Aktienportfolios aller Art auf Qualitätsunternehmen konzentrieren, die über Business Resilience für den Fall eines Abschwungs und Erholungspotenzial für einen Wiederaufschwung verfügen. Wenngleich Qualitätstitel in diesem Jahr eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung verzeichnen, da die Inflation von extrem hohen Niveaus nachgibt und sich die Wirtschaftsaktivität abschwächt, gehen wir davon aus, dass Qualität wieder in Mode kommt.

Cashflows stellen einen wichtigen Qualitätsindikator dar. Unternehmen mit hohen freien Cashflow haben sich in der Vergangenheit in Phasen der Konjunkturabkühlung und Rezessionen besser behauptet. Die Preismacht, ein weiteres bedeutendes Qualitätsmerkmal, kann Unternehmen dabei helfen, in Zeiten der Inflation die Margen aufrechtzuerhalten. Gesunde Bilanzen und niedrige Verschuldungsniveaus bieten einen gewissen Schutz vor steigenden Zinsen. Wettbewerbsvorteile, eine innovative Kultur und starke Führungsteams stützen die Qualität eines Unternehmens und stärken es für schwierigere Zeiten.

Ausgewogenheit zwischen defensiven Strategien und künftigem Erholungspotenzial

Strategien, deren explizites Ziel die Verringerung des Risikos ist, können dazu beitragen, dass Anleger in schwierigeren Zeiten im Markt investiert bleiben können. Portfolios mit geringerer Volatilität und Fokus auf qualitativ hochwertigen Unternehmen mit stabilen, zu attraktiven Kursen gehandelten Aktien können dazu beitragen, in einer Abwärtsphase die Volatilität zu mindern.

Trotzdem raten wir von einer übermäßig defensiven Haltung ab, die das Ertragspotenzial bei einer Erholung begrenzen könnte. Hierbei ist eine Diversifizierung mit Blick auf Anlagestile und Regionen wichtig. Anleger mit einer hohen Gewichtung in Wachstumswerten sollten eine Umschichtung in substanzwertorientierte Aktienportfolios, die sich in einem inflationären Umfeld gut behaupten dürften, in Erwägung ziehen. Viele Anleger sind in den Emerging Markets, wo die Bewertungen attraktiv sind, unzureichend engagiert, insbesondere in China, wo angesichts der Lockerung der Geldpolitik und der fiskalischen Impulse voraussichtlich eine Erholung bevorsteht.

In schwächeren Volkswirtschaften sind Unternehmen in unterschiedlicher Weise betroffen. Fundamentalanalysen sind der Schlüssel zur Identifizierung von Aktien, die sich in einer Rezession besser behaupten als ihre Vergleichsgruppe. Die Anteile ausgewählter Unternehmen werden zu äußerst schwachen Bewertungen gehandelt, was die potenziellen Auswirkungen einer Rezession auf ihre Geschäfte übertrieben stark erscheinen lässt.

Auch wenn wir unsere Erwartungen an dieses sich entwickelnde Umfeld anpassen, sollten Anleger daran denken, dass Abschwünge nicht ewig währen. Eine langfristige Sicht auf Geschäftsentwicklung und Gewinnpotenzial bei gleichzeitiger Berücksichtigung kurzfristiger Risiken hilft bei der Positionierung der Portfolios für eine ungewisse Zukunft – und darüber hinaus.

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden. 

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