Wachstumsaktien

jenseits der Landesgrenzen suchen

07. Dezember 2022
6 min read

Die Herausforderungen hinsichtlich Inflation, Zinsen und Wachstum entwickeln sich weltweit unterschiedlich. Die länderspezifischen makroökonomischen Bedingungen sollten jedoch nicht die Allokation globaler Aktien bestimmen.

In der diesjährigen Weltwirtschaftskrise machen keine zwei Regionen die gleichen Entwicklungen durch. Die Inflation steigt in einigen Ländern moderater als in anderen. Auch der Umfang der Zinserhöhungen und das Ausmaß der Rezessionsängste sind nicht einheitlich.

In den USA schmerzt der Zinszyklus aufgrund der aggressiven Straffung der Geldpolitik durch die Federal Reserve früher und schneller als anderswo. In Europa, wo die Inflation noch höher ist, kompliziert die Energiekrise die Maßnahmen der Zentralbanken und erhöht die Rezessionsrisiken. Japan hingegen hat eine niedrige Inflation, eine lockere Geldpolitik und einen schwachen Yen. China versucht unterdessen, das Wachstum anzukurbeln, während es gleichzeitig eine Nullzins-Politik verfolgt und mit den Risiken des Immobiliensektors zu kämpfen hat.

Top-Down-Regionalallokationen sind unzulänglich 

In diesem Umfeld könnten Anleger in globalen Aktienportfolios versucht sein, nach regionalen Engagements zu suchen, die die jeweiligen makroökonomischen Bedingungen widerspiegeln. Unserer Meinung nach ist diese Art von Top-Down-Ansatz aus drei Gründen fehlerhaft. Erstens ist es notorisch schwierig, makroökonomische Trends vorherzusagen. Zweitens schlagen sich diese Trends nicht immer in den Aktienkursen nieder. Und drittens sind viele Unternehmen trotz der zunehmenden Deglobalisierung nicht auf die Inlandsmärkte angewiesen, um Einnahmen zu erzielen.

Europäische Unternehmen erwirtschaften 58 % ihres Umsatzes außerhalb der Region (Abbildung links). Auch japanische und US-amerikanische Unternehmen verkaufen erhebliche Mengen an ausländische Kunden. Infolgedessen wird das Wachstumspotenzial von Umsatz und Gewinn in vielen Fällen eher von der globalen Branchendynamik als von Inflation und Binnenkonjunktur bestimmt. Hinzu kommt, dass in einem Jahr, in dem der US-Dollar stark aufgewertet hat, die Wertentwicklung der Unternehmen akut durch Währungsrisiken beeinflusst wurde.

Die Quelle der Unternehmenseinkünfte kann sich auf die Anlageerträge auswirken
Die Quelle der Unternehmenseinkünfte kann sich auf die Anlageerträge auswirken

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit und aktuelle Analysen sind keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.
*Europa wird durch den STOXX 600 Index, Japan durch den TOPIX, die USA durch den S&P 500 und die Schwellenländer durch den MSCI Emerging Markets dargestellt.
†Gleichgewichtete Erträge für S&P-500-Unternehmen, gruppiert nach dem prozentualen Anteil der Umsätze aus dem Auslandsgeschäft.
Linke Grafik per 31. Dezember 2021; rechte Grafik per 30. September 2022.
Quelle: Bloomberg, FactSet, Goldman Sachs Global Investment Research, MSCI, S&P, STOXX, TOPIX und AllianceBernstein (AB)

Die jüngste Börsenentwicklung spiegelt diese Trends wider. So sind beispielsweise die Aktien von S&P-500-Unternehmen, die mehr als 50 % ihrer Einnahmen außerhalb der USA erzielen, bis September um 26,8 % gefallen (Abbildung oben rechts). Das ist mehr als doppelt so viel wie die Rückgänge bei US-Unternehmen mit weniger als 25 % der Einnahmen aus dem Ausland. Der stärkere US-Dollar schmälert den Wert der in US-Dollar verbuchten Umsätze außerhalb der USA.

Die Gewinnkorrekturen scheinen auch durch Verwerfungen in den regionalen Geschäftsfeldern bedingt zu sein. US-Unternehmen, die einen größeren Teil ihrer Umsätze im Inland erwirtschaften, haben stärkere Gewinnkorrekturen erfahren, während diejenigen mit einem größeren Anteil an internationalen Einkünften schlechter abschnitten, so die Daten von Goldman Sachs (Abbildung links). In Europa ist das Bild umgekehrt: Die Aussichten für inländisch ausgerichtete Unternehmen haben sich verschlechtert, während Unternehmen mit US-Engagement als günstiger positioniert gelten (Abbildung rechts).

Gewinnrevisionen scheinen internationale Exponierung widerzuspiegeln
Gewinnrevisionen scheinen internationale Exponierung widerzuspiegeln

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit und aktuelle Analysen sind keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.
*Inlandfokus (GSTHAINT) umfasst eine gleichgewichtete Gruppe von 50 S&P-500-Aktien mit der höchsten Inlandexponierung; internationaler Fokus (GSTHINTL) umfasst eine gleichgewichtete Gruppe von 50 S&P-500-Titeln mit der höchsten internationalen Umsatzexponierung, jeweils auf der Grundlage von Unternehmensberichten aus dem Jahr 2021.
†USA-Exponierung (GSSTAMER) umfasst eine gleichgewichtete Gruppe von 45 europäischen Unternehmen mit einer über dem Marktdurchschnitt liegenden US-Umsatz-Exponierung und einer negativen Korrelation mit dem EUR/USD-Wechselkurs. Inlandexponierung (GSSTDOME) umfasst eine gleichgewichtete Gruppe von 60 europäischen Unternehmen mit einer hohen Umsatzexponierung im Euroraum.
Linkes Diagramm Stand 28. Oktober 2022. Rechtes Diagramm Stand 14. Oktober 2022. 
Quelle: Datastream, FactSet, Goldman Sachs Global Investment Research und Thomson Reuters I/B/E/S

Quellen für Wachstumspotenzial aufspüren

Wechselkurse können schnell ihre Richtung ändern und ihre Auswirkungen können unberechenbar sein. Tatsächlich begann der US-Dollar Ende November zu schwächeln, als es Anzeichen für eine nachlassende Inflation in den USA gab, was die Hoffnung nährte, dass die Fed ihre Zinserhöhungen verlangsamen könnte. Bei der Bewertung des langfristigen Wachstumspotenzials von Unternehmen im gegenwärtigen Umfeld sollte das Währungsrisiko also ein Faktor in einer umfassenderen fundamentalen Analyse der Wachstumsposition sein. Trotz der vielfältigen makroökonomischen Herausforderungen sind wir der Ansicht, dass solide Quellen für Wachstumspotenzial in folgenden Bereichen zu finden sind:

Außeramerikanische Unternehmen mit bedeutendem US-Wachstumsgeschäft: In Europa ansässige Unternehmen, die in erheblichem Umfang in den USA tätig sind, profitieren eindeutig vom stärkeren US-Dollar. Doch ein günstiges Währungsprofil allein reicht nicht aus, um eine Anlagethese aufzustellen. Das zugrunde liegende Geschäftswachstumspotenzial muss robust sein. Ein gutes Beispiel dafür ist das Vertragscatering. Die Compass Group, ein in Großbritannien ansässiger Konzern, verfügt über eine bedeutende Position in den USA, wo die Nachfrage nach Lebensmitteldienstleistungen in Unternehmen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen nach COVID wieder anzieht. Das Unternehmen profitiert auch von der Umrechnung der höheren Umsätze in US-Dollar in Britische Pfund.

Effizienzverbesserer: Technologietrends wie die Robotik sind ein wichtiger Bestandteil der Kosteneinsparungen von Unternehmen – ein Strukturwandel, der nicht vom Wirtschaftswachstum abhängt. Das japanische Unternehmen Fanuc ist weltweit führend in der Fabrikautomation und genießt derzeit Währungsvorteile durch einen schwachen Yen. In den USA suchen Pharmaunternehmen nach Möglichkeiten, effizienter zu werden, vor allem angesichts der neuen Preisobergrenzen für Medikamente. Das in North Carolina ansässige Unternehmen IQVIA liefert und führt klinische Studien durch, um Arzneimittelherstellern zu helfen, ihre Forschungs- und Entwicklungsausgaben zu senken.

Post-COVID-Erholungstrends: Die anhaltende Erholung von der Pandemie bietet vielfältige Möglichkeiten. Thailand ist ein beliebtes Ziel für den Medizintourismus, der sich im Zuge der Wiederbelebung des internationalen Reiseverkehrs erholt. Bangkok Dusit Medical Services ist eine thailändische Krankenhausgruppe, die sowohl inländische als auch ausländische Patienten behandelt und von der wachsenden inländischen und internationalen Nachfrage nach ihren Dienstleistungen profitiert. Samsonite, der in den USA ansässige und in 100 Ländern vertriebene Reisegepäckhersteller, ist ein weiterer Nutznießer des wieder einsetzenden Reiseverkehrs. Das starke Umsatzwachstum in allen Regionen hat dem Unternehmen geholfen, die negativen Währungseffekte des starken US-Dollars auszugleichen.

Das sind nur einige der Bereiche, in denen Anleger robuste Wachstumsquellen entdecken können, die nicht an die heimischen Rahmenbedingungen gebunden sind. Im heutigen undurchsichtigen Konjunkturumfeld bedarf es einer klaren, disziplinierten Strategie, um ein Portfolio von Unternehmen aufzubauen, die in der Lage sind, ihre Gewinne im Laufe der Zeit beständig zu steigern und dabei auch die durch Währungsschwankungen entstehenden Risiken und Chancen zu berücksichtigen. Die regionalen Allokationen solcher Portfolios haben wenig mit den makroökonomischen Trends in den einzelnen Ländern zu tun, sondern sind wirklich global, da sie die Wachstumsdynamik der Unternehmen über die nationalen Grenzen hinaus erfassen. 

In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.